Großzügige Betriebsratsvergütungen als strafbare Untreue?

Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 28. September 2021

Die Problematik der Zulässigkeit von Betriebsratsvergütungen steht als Personalangelegenheit typischerweise nicht ganz oben auf der Prioritätenliste der Compliance-Abteilungen. Tatsächlich birgt die Thematik aber neben zivil- auch straf- und bußgeldrechtliche Risiken, die es nicht zu unterschätzen gilt. Sinnbildlich dafür steht die Entscheidung des Landgerichts Braunschweig vom 28. September 2021 (Az. 16 KLs 406 Js 59398/16 (85/19), 16 KLs 85/19). In der Entscheidung befasste sich das Gericht mit einer möglichen Untreuestrafbarkeit dreier ehemaliger und eines amtierenden Personalverantwortlichen der Volkswagen AG wegen der Zahlung – nach Auffassung der 16. Großen Strafkammer – zu hoher Gehälter und Boni an mehrere Mitglieder des Betriebsrates.

Zwar sprach das Gericht die vier Angeklagten im Ergebnis vom Vorwurf der Untreue frei. In der nunmehr veröffentlichten erweiterten Urteilsbegründung zieht es der Entlohnung von Betriebsratsmitgliedern gleichwohl einen denkbar engen Rahmen. Grund genug also, sich auch aus Compliance-Sicht mit den Einzelheiten des Urteilsspruches näher auseinanderzusetzen.

 

Wie entschied das Gericht?

Das Landgericht Braunschweig folgte hinsichtlich der betriebsverfassungsrechtlichen Grenzen (§§ 37, 78 BetrVG) einer zulässigen Entlohnung von Betriebsräten ausdrücklich einer „strengen Ansicht“, die das Ehrenamtsprinzip des § 37 Abs. 1 BetrVG und die Unentgeltlichkeit der Amtsführung der Betriebsratsmitglieder betont. Das Betriebsratsamt sei seiner Konzeption nach von einem „normalen“ Karriereamt entkoppelt. Die gesetzgeberische Konzeption sehe einen „Berufsbetriebsrat“ nicht vor. Der Betriebsrat erhalte für seine Tätigkeit keine Vergütung. Vielmehr stelle § 37 Abs. 4 BetrVG zur Bestimmung der Vergütung des Betriebsrates auf „vergleichbare Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung“ ab.

Eine Entlohnung von – nach dem BetrVG freigestellten – Betriebsräten als „Co-Manager“ oder „auf Augenhöhe“ mit den Verhandlungspartnern auf Arbeitgeberseite sei daher unzulässig. Eine solche könne auch nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass dem Betriebsratsmitglied zuvor entsprechende Stellen im Management seitens des Arbeitgebers angeboten wurden.

Die Entlohnung habe sich vielmehr an der betriebsüblichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer zu orientieren („typischer Normalverlauf“). Es solle also (nur) die fiktive Leistung des Arbeitnehmers – ohne das Betriebsratsamt – vergütet werden. Sonderkarrieren dürften hingegen nicht als Grundlage für die Bemessung der Entlohnung herangezogen werden. Auch die Fähigkeiten und Kenntnisse, die das Betriebsratsmitglied während seiner Zeit im Betriebsrat erwirbt, dürften keine Berücksichtigung finden.

Diese Grundsätze, so die Kammer, hätten die Angeklagten bei der Freigabe überhöhter Gehälter und Boni für die Betriebsratsmitglieder missachtet und hierdurch den objektiven Tatbestand der Untreue.

„Die Pflichtwidrigkeit auf der Ebene des objektiven Tatbestands ergibt sich aus einem Verstoß gegen § 93 Abs. 1 AktG i.V.m. Ziff. 4.3.2. des Deutschen Corporate Governance Kodexes, weil es objektiv zu einer Überzahlung an die in der Anklage genannten Betriebsräte gekommen ist. Dies wiederum ergibt sich nach Maßgabe der von der Kammer vorgenommenen Auslegung der Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes.“

Das Gericht sah jedoch ein vorsätzliches Handeln der Angeklagten für nicht gegeben an, weshalb eine Verurteilung wegen Untreue unterblieb. Die Angeklagten seien einem Tatbestandsirrtum hinsichtlich der Pflichtwidrigkeit ihres Handelns unterlegen:

„Die Angeklagten wussten gerade … nicht, dass sie dem Vermögen … Schaden zufügen. Vielmehr waren sie bei den jeweiligen Bewilligungsentscheidungen davon überzeugt, pflichtgemäß und gesetzeskonform zu handeln. Ihre rechtliche Fehlvorstellung, mithin ihr Irrtum über die Voraussetzungen der außerstrafrechtlichen Normen der §§ 37 und 78 BetrVG, ist daher als Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB zu werten.“

 

Folgen für Unternehmen

Das Urteil des Landgerichts Braunschweig betrifft keinen Einzelfall in der deutschen Unternehmenslandschaft und führt bereits vielerorts zu Verunsicherung, insbesondere in den Personal- und Rechtsabteilungen, aber auch auf Ebene der Geschäftsleitungen. Einzelne Unternehmen haben daher bereits auf die Entscheidung reagiert und die Gehälter von Betriebsratsmitgliedern angepasst.

Auch Unternehmen, die in diese Richtung noch nicht aktiv geworden sind, werden in Anbetracht der straf-, zivil- und bußgeldrechtlichen Risiken an einer sorgfältigen Prüfung der Betriebsratsvergütungen (und Dokumentation der Prüfung!) nicht vorbeikommen; zumal fraglich ist, ob sich Unternehmens- und Personalverantwortliche – nach der Entscheidung des Landgerichts Braunschweig – auch künftig mit Erfolg auf einen Tatbestandsirrtum berufen können werden.

Unternehmen sollten daher präventive Maßnahmen ergreifen, um Compliance-Risiken zu mitigieren. Als solche kommt etwa der Abschluss einer konkretisierenden Betriebsvereinbarung in Betracht, um Vergütungsfragen zu klären und Unsicherheiten bei der Auslegung des BetrVG entgegenzutreten. Auch sollten Unternehmen ihre Personalverantwortlichen zu Vergütungsfragen schulen und dafür sensibilisieren, dass das Thema „Betriebsratsvergütung“ compliance-relevant ist.

 

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Gemeinsam mit arbeitsrechtlich versierten Kollegen aus unserem Kanzleinetzwerk beraten wir Sie ganzheitlich u.a. zu Fragen der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern, um Compliance- und Reputationsrisiken für Ihr Unternehmen zu minimieren. Hierbei lassen wir unsere praktischen Erfahrungen als forensisch tätige Strafverteidiger ebenso einfließen wie unsere Expertise aus der präventiven Compliance-Beratung von Unternehmen.

 

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Dr. Tobias Eggers

Joshua Pawel LL.M.